Aktuelle Rechtsprechung

 

BAG v. 01.06.2022: Zulässigkeit von Corona-Tests
 
•  Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob der Arbeitgeber im Rahmen des Hygienekonzepts von den Mitarbeitern verlangen kann, sich zu testen. Die Tests konnten kostenfrei beim Arbeitgeber oder extern auf eigene Kosten durchgeführt werden. Ein Mitarbeiter lehnte die Testung ab, der bei ihm keine Anzeichen einer Erkrankung vorhanden waren. Aufgrund der Weigerung beschäftigte der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht mehr und stellte auch die Gehaltszahlung ein.
 

•  Das BAG hat festgestellt, dass die Durchführung von Corona-Tests im Betrieb eine geeignete Maßnahme darstellt, um Ansteckungen zu verhindern und hierdurch die Gesundheit der Mitarbeiter im Betrieb zu schützen. Die Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitgeber nach § 618 BGB, die Mitarbeiter vor Gesundheitsgefahren zu schützen. Im vorliegenden Fall entsprach die Testpflicht dem billigen Ermessen.

 
Beschluss des BAG vom 16.08.2022 zur behördlich angeordneten Quarantäne während des Urlaubs

 •  Das BAG wendet sich an den EuGH, um die Frage klären zu lassen, ob es nach § 9 BurlG zulässig ist, die Urlaubsnachgewährung nur für Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (und nicht im Fall einer Quarantäne) zuzulassen.

 
•  Die Mehrzahl  der Gerichte lehnten eine Analogie des § 9 BurlG bisher ab, da sich die Vorschrift nur auf Erkrankungen bezieht.

 

•Zwischenzeitlich hat auch der Gesetzgeber den Fall aufgegriffen und im § 59 Abs. 1 IfSG geregelt, dass die in Quarantäne bzw. Isolation verbrachten Urlaubstage gutgeschrieben werden. 

 

1.  Sachgrundlose Befristung und gleichzeitige parallele Vertragsänderung (Urteil des BAG v. 24.02.2021)

 

Das BAG hatte über die Zulässigkeit einer sachgrundlosen Befristung zu entscheiden.

 

Im Sachverhalt war der Mitarbeiter für 2 Jahre auf Grundlage von 2 befristeten   Arbeitsverträgen beschäftigt. Konkret wurde das für ein Jahr befristete  Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Jahres um ein weiteres Jahr verlängert. Im Rahmen der Verlängerung wurde gleichzeitig vereinbart, die wöchentliche Arbeitszeit auf 90% zu reduzieren.

War die Verlängerung der sachgrundlosen Befristung wirksam?  

Das BAG verneinte dies, denn als Verlängerung einer sachgrundlosen Befristung sei nur das Hinausschieben des Beendigungszeitraums bei im Übrigen unveränderten Vertragsinhalt anzusehen. Verändert sich der Vertragsinhalt bedarf es nach Ansicht des BAG eines Sachgrundes, ansonsten ist die Befristung unwirksam.

 Die Entscheidung zeigt, dass Verlängerungen und Änderungen der Vertragsbedingungen zeitlich voneinander zu trennen sind, da ansonsten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht. Veränderungen des befristeten Vertrages sind daher entweder zeitlich vor der Verlängerung oder nach der Verlängerung vorzunehmen.

 

2.  Die Reichweite des Gebots fairen Verhandelns beim Aufhebungsvertrag (Urteil   

des BAG v. 24.04.2022)

 

Das BAG hatte darüber zu entscheiden, wann gegen das Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages verstoßen worden ist. Vor drei Jahren hatte das BAG diesen Grundsatz für den Fall aufgestellt, wenn eine psychische Drucksituation ausgenutzt werde, die eine freie Entscheidung erheblich erschwert oder gar unmöglich macht.

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hatte der Geschäftsführer die Mitarbeiterin zu einem Personalgespräch geladen, ohne ihr den Grund für das Gespräch zu nennen. Erst im Gespräch warf der Geschäftsführer der Mitarbeiterin erhebliche Pflichtverletzungen vor. An dem Gespräch nahm auf Seiten des Arbeitgebers ein Rechtsanwalt teil. Der Mitarbeiterin wurde ein Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme angeboten. Die Bitte der Mitarbeiterin, ihr Bedenkzeit einzuräumen, damit sie einen Anwalt kontaktieren könne, wurde abgelehnt.

Ist der Aufhebungsvertrag wirksam?

Das BAG bejahte dies und nimmt damit einen Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhaltens nur in Ausnahmefällen an. Hierfür reicht es nicht aus, dass dem Mitarbeiter ein Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme angeboten wird und der Mitarbeiter damit keine Zeit hat, sich Rechtsrat einzuholen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer ohne Vorliegen von Anhaltspunkten auch nicht fragen, ob seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt ist.

 

3.  Entscheidungen des EuGHs zum Verfall und Verjährung von Urlaub

 

Seit 2009 hat die Rechtsprechung durch das EuGH und das BAG zu gravierenden  Veränderungen geführt. Bis dahin verfiel der Urlaub spätestens zum 31.03. des   Folgejahres.

Seit 2011 gilt, dass im Fall einer Langzeiterkrankung der nicht genommene Urlaub 15 Monate nach Ende eines Kalenderjahres verfällt.

Seit 2018 verpflichtet das BAG den Arbeitgeber dazu, Mitarbeiter aufzufordern, den  Urlaubsanspruch bis zum Jahresende zu unternehmen und entsprechend auf den   Verfall hinzuweisen. Unterlässt der Arbeitgeber den Hinweis, scheidet ein Verfall aus.

Im September 2021 hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber keine Pflicht  hat, Langzeitkranke bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit im Urlaubsjahr und im   Übertragungszeitraum auf den Urlaubsverfall hinzuweisen.

Der EuGH hat sich im September 2022 mit der Frage befasst, ob eine Hinweispflicht im Fall von Langzeiterkrankung oder Rente wegen Erwerbsminderung dann besteht, wenn im betreffenden Jahr zumindest teilweise gearbeitet wurde. Der EuGH hat entschieden, dass eine Mitwirkungspflicht auch in diesem Jahr besteht.

Ebenfalls im September 2022 hat sich der EuGH mit der Frage befasst, ob Urlaubsansprüche, die aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht verfallen, nach drei Jahren verjähren. Der EuGH bejaht die Frage, kommt aber zum Schluss, dass die Verjährung erst mit dem Schluss des Jahres beginn, indem der Arbeitgeber seiner Aufklärungsfrist nachgekommen ist. 

 

4.  Urteil des BAG v. 25.01.2022 zur Frage des Anspruchs auf eine Schlussformel im Arbeitszeugnis

 

Das BAG hatte die Frage zu entscheiden, ob der Mitarbeiter einen Anspruch auf   eine Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis hat. Nach Beendigung des   Arbeitsverhältnisses verpflichtete sich der Arbeitgeber ein qualifiziertes,   wohlwollendes Arbeitszeugnis zu erteilen. Das erteilte Arbeitszeugnis enthielt  keine sogenannte Schlussformel. Hiergegen klagte der Mitarbeiter.

Hat der Mitarbeiter einen Anspruch auf eine Schlussformel?

Das BAG verneinte den Anspruch im Gegensatz zum LAG. Der Anspruch lässt sich weder aus § 109 Abs. 1 GewO noch aus § 241 Abs. 2 BGB herleiten. Nach dem BAG trägt die sogenannte Dankes- und Bedauernsformel nur unwesentlich zur Erreichung des Zeugniszweckes als Beurteilungsgrundlage für künftige Arbeitgeber bei. Sie bringt Gedanken und Gefühle des Arbeitgebers zum Ausdruck. Durch eine verpflichtende Aufnahme einer Dankes- und Wunschformel als integraler Bestandteil eines qualifizierten Zeugnisses würde die durch Art. 5 Abs. 1, S. 1 GG gestützte negative Meinungsfreiheit des Arbeitgebers beeinträchtigt.

 

5.  Diskriminierung eines Stellenbewerbers wegen des Alters

BAG Urteil vom 31.03.2022

 

Das BAG hatte sich mit einem Entschädigungsverlangen wegen   Altersdiskriminierung zu beschäftigen. Der Bewerber war bereits 74 Jahre alt und   erfüllte sämtliche Stellenanforderungen. Neben dem Alter kam der Bewerber aber   aufgrund seines (dreisten) Anschreibens und seines gesamten Auftretens nicht in   Betracht. Der Arbeitgeber begründete die Absage damit, dass der Bewerber  bereits die Regelaltersgrenze überschritten habe, die tarifvertraglich zur   automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen würde. Das BAG   führte aus, dass eine altersbedingte Benachteiligung grundsätzlich in Betracht  kommen würde, aufgrund Rechtsmissbrauchs hierüber aber nicht entschieden werden musste.

 

6.   Beginn der Zwei-Wochen-Frist für außerordentliche Kündigungen bei Compliance-Untersuchungen

 

Bei dem Ausspruch von fristlosen Kündigung ist nach § 626 Abs. 2 BGB zwingend   eine 2-Wochen-Frist einzuhalten. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die Kenntnis   von sämtlichen Tatsachen, die eine Entscheidung darüber erlauben, ob dem   Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann.  Unter Umständen setzt die Aufklärung langwierige Ermittlungen voraus.

Das BAG   hat entschieden, dass die Aufklärung komplexer Sachverhalte zeitintensive   Ermittlungen (mehrere Monate) erfordern kann. Vorher beginnt die Frist nicht zu   laufen, denn der Arbeitgeber braucht nicht vorschnell entscheiden zu müssen.   Dies gilt selbst dann, wenn sich die Geschäftsführung nicht ständig über den   Stand der Ermittlungen unterrichten lässt. Nach Ansicht des BAG muss der   Arbeitgeber   die Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers auch nicht isoliert betrachten, sondern darf   abwarten, bis die Pflichtverletzung anderer Arbeitnehmer, die im  Zusammenhang  stehen, aufgeklärt worden sind.

 

7.  Beweislast für die Überstundenvergütung (BAG v. 04.05.2022)

 

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Mitarbeiter nur dann einen Anspruch auf Überstundenvergütung, wenn der Arbeitgeber Überstunden anordnet, duldet oder zumindest nachträglich billigt. Dies muss der Mitarbeiter darlegen und beweisen. Die bloße Anwesenheit eines Mitarbeiters an seinem Arbeitsort belegt noch nicht, dass Überstunden auch erforderlich gewesen sind. Beschäftigte können damit nicht ihren Vergütungsanspruch durch überobligatorische Mehrarbeit selbst bestimmen. Das Urteil des EuGH (14.05.2019) zur Aufzeichnungspflicht hatte nach Ansicht des BAG keine Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im  Überstundenprozess. Das BAG trennt hier richtigerweise zwischen der Arbeitszeiterfassung nach dem ArbZG und der Frage, wie geleistete Arbeit zu vergüten ist.

 

8.  Unterschiedliche Nachtzuschläge in Tarifverträgen stellen keinen Verstoß gegen europarechtliche Regelungen dar

 

Das BAG ersuchte den EuGH im Rahmen einer Vorabentscheidung um Antwort   auf die Frage, ob unterschiedlich hohe Nachtzuschläge (25 % für regelmäßige   Nachtarbeit und 50% für unregelmäßige Nachtarbeit) den europäischen Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. europäische Arbeitszeitrichtlinie verletzt. Der   EuGH lehnte dies ab, da eine Zuschlagsregelung schon nicht in den   Anwendungsbereich der Arbeitszeitrichtlinie fällt. Auch ansonsten ergeben sich   diesbezüglich keine speziellen unionsrechtlichen Verpflichtungen, die zu erfüllen   wären. Das EuGH hat den Ball an das BAG zurückgespielt. Das BAG vertrat im   Vorlagebeschluss die Ansicht, dass der verfolgte Zweck der Differenzierung,   nämlich die schlechtere Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit   auszugleichen, der Durchführung von EU-Recht dienen könnte. Dem hat der   EuGH jetzt eine Absage erteilt. Mit Spannung ist jetzt die Entscheidung des BAG   zu erwarten, da der Ausgang dieses Verfahrens für den Tarifvertrag Milch aufgrund der   ebenfalls vorgenommenen Differenzierung eine hohe Relevanz hat. Das BAG   entscheidet über die ersten Verfahren im Februar 2023.   

 

9.  Tarifunfähigkeit der Gewerkschaft DHV

Beschluss des BVerfG

 

Nachdem im Jahr 2021 das BAG die DHV wegen ihrer Zersplitterung auf viele   Sachgebiete für tarifunfähig gehalten hatte, erhob die DHV im letzten Jahr   Verfassungsbeschwerde. Diese wurde zur großen Überraschung vieler   Beobachter nicht zur Entscheidung angenommen. Damit hat das Urteil des BAG   Bestand und die DHV ist weiter tarifunfähig.

Das BVerfG führte aus, dass die Fachgerichte befugt seien, Kriterien für die Tariffähigkeit aufzustellen. Sie seien auch befugt, eine Tariffähigkeit nur solchen Arbeitnehmervereinigungen zuzubilligen, die ein gewisses Verhandlungsgewicht und eine Durchsetzungsfähigkeit haben.